„Meine Energiewende-Gleichung:
Wirtschaft plus Gemeinwohl“

Hermann Falk kennt die Energiewende aus vielen Blickwinkeln. Besonders am Herz liegt ihm die Bürgerenergiebewegung. Ein Gespräch über historische Hürden und aktuelle Hoffnungsträger.

Herr Falk, Sie begleiten die Erneuerbaren-Szene seit Mitte der 1990er. Welche Rolle spielten Bürger:innen als treibende Kraft in den Anfängen der Energiewende?

Hermann Falk:
Dass Deutschland als hochindustrialisierte Nation heute jede zweite Kilowattstunde Strom aus Erneuerbaren Energien produziert, verdanken wir dem Idealismus und dem Durchhaltevermögen einer kleinen Szene von Privatleuten. Heute würde man sie wohl Nerds nennen. Die haben in den 1980ern die ersten kleinen Windenergie- und Solaranlagen errichtet und erste Hinterhof-Unternehmen gegründet. Die Energiewende wurde von einer Graswurzelbewegung in die Hand genommen, nicht von den Unternehmen der Energiewirtschaft.

Eine Graswurzelbewegung, die – um im Bild zu bleiben – mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 den nötigen Dünger bekommen hat.

Hermann Falk:
Richtig. Das EEG war im Jahr 2000 ein absoluter Paradigmenwechsel, denn es hat den Einspeisevorrang für die Erneuerbaren sowie in vielen Bereichen eine auskömmliche Vergütung für den eingespeisten Strom festgeschrieben. Zugleich war es ein großes Technologieförder- und Innovationsprogramm. In den zwei Jahrzehnten danach hat die Politik allerdings leider eine Reihe von Kardinalfehlern gemacht, die zulasten der Erneuerbaren-Branche und ganz speziell der Menschen ging, die sich ehrenamtlich in Bürgerenergiegesellschaften engagiert haben. Spätestens ab Mitte der 2010er wurden die eigentlichen Pioniere der Energiewende und diejenigen, die mit ihnen zusammen in neue Ökostromanlagen investieren wollten, politisch systematisch benachteiligt.

Woher kam diese Blockadehaltung?

Hermann Falk:
Nüchtern betrachtet widersprach eine dezentrale Energiewirtschaft in Bürgerhand allem Gelernten, seitdem sich eine flächendeckende Elektrizitätsversorgung in Deutschland etabliert hatte. Viele sogenannte Experten waren damals überzeugt, man könne Versorgungssicherheit nur mit großen Unternehmen und zentralen Großkraftwerken schaffen. Eine dezentrale Energieversorgung mit Wind und Solar hat Lebensüberzeugungen von Energiemanagern und Wirtschaftspolitikern vollkommen auf den Kopf gestellt, auch viele Wissenschaftler konnten sich von ihren bisherigen Modellen nicht lösen. Dies war – und ist heute immer noch an gewissen Punkten – nicht nur eine Frage des Wissens, sondern auch der Identität, eine Generationenfrage und vielleicht ein Elitenproblem. Wenn alle, die an den Entscheidungspunkten sind, etwas so gelernt haben, dann dauert es ewig, bis sich von unten das Wissen, dass es auch anders geht, aufbaut und durch das System durchgearbeitet hat. Davon abgesehen war natürlich die Lobbyarbeit der alten Energiewirtschaft exzellent, einschließlich ihrer Drehtür mit der Politik.

2013 bis 2016 waren Sie Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energien und hatten in dieser Funktion die Gründung des Bündnis Bürgerenergie mit initiiert. War der starke Lobbydruck der alten Energiewirtschaft der Grund hierfür?

Hermann Falk:
Die Energiewende rutschte politischerseits schon recht bald nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 wieder zurück ins alte Gleis der Zentralisierung und der Großkraftwerksideologie. Deshalb hatten sich Bürger:innen und Organisationen zusammengetan, um Stück für Stück in Berlin Gesicht und Stimme zu bekommen. Politiker können nur mit organisierten Verbünden von Menschen sprechen, nicht mit Einzelnen, so mein Eindruck. Die bestehenden Verbände im Bereich der Erneuerbaren Energien konnten diese Rolle als klassische Unternehmensverbände aber nicht adäquat ausfüllen. Aus diesen Überlegungen heraus wurde das Bündnis Bürgerenergie im Dezember 2013 gegründet. Heute hat es ein prima aufgestelltes Team und sehr guten Zugang zu vielen Gesprächsrunden und Entscheidungsprozessen in Berlin und den Bundesländern.

Dr. Hermann Falk leitet als Vorstandsmitglied die gemeinnützige, stiftungsähnliche GLS Treuhand. Im Ehrenamt ist er unter anderem Vorstand der Naturstrom Stiftung. Der promovierte Jurist begleitete zwanzig Jahre bis 2022 als Aufsichtsratsvorsitzender die Entwicklung der naturstrom AG, heute leitet er den Aufsichtsrat der NaturEnergy GmbH & Co. KGaA. Zwischen 2013 und 2016 war er Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energien und in dieser Zeit auch Mitgründer des Bündnis Bürgerenergie.

Aktuell setzt sich das Bündnis Bürgerenergie sehr stark für das sogenannte Energy Sharing ein.

Hermann Falk:
Völlig zurecht. Bürgerenergiegesellschaften brauchen den energiewirtschaftlichen und -rechtlichen Rahmen, um den in Wind- oder Solaranlagen erzeugten Strom zu günstigen Preisen an die Nachbar:innen, Mieter:innen und Mitglieder regional liefern zu können. Nichts anderes bedeutet ja Energy Sharing. Die Europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie ermöglicht ein solches Modell schon seit einigen Jahren, nun sollen die Hindernisse endlich auch in Deutschland abgebaut werden. Bei der Ausgestaltung muss die Ampelkoalition darauf achten, das Modell möglichst schlank zu halten. Angesichts des bisherigen politischen Hangs zum Mikromanagement – trotz allen guten Willens – ist das eine echte Herausforderung. Ich jedenfalls wünsche mir vom Gesetzgeber mehr Freiheit und Vertrauen in die Fähigkeit der Bürger:innen, den Strom verantwortungsvoll und sicher in ihrem regionalen Umfeld gemeinsam zu produzieren und zu verbrauchen.

naturstrom unterstützt die inhaltliche Arbeit des Bündnis Bürgerenergie und hat auch dessen Positionen zum Energy Sharing mitentwickelt. Schließt sich hier auch für Sie als langjährigem naturstrom-Aufsichtsratsvorsitzendem der Kreis?

Hermann Falk:
Das kann man so sagen. naturstrom ist ja selbst ein Kind der Graswurzelbewegung, von der wir eingangs sprachen. Deswegen – und natürlich auch aufgrund der klar formulierten Vision, die Energiewende gemeinsam mit den Bürger:innen voranbringen zu wollen – finde ich es nur konsequent, wenn sich unser Unternehmen für neue Partizipationsmodelle stark macht.

Das entspricht auch meiner eigenen Überzeugung: Die Stärke von Gemeinschaften ist fast unschlagbar! Vorausgesetzt, dass sich Gemeinschaften auf ein gesellschaftlich wertvolles Ziel verständigt haben und nicht nur von kommerziellen Interessen geleitet sind. Dann ist man immer stärker als eine Gruppe von Aktionären, die nur auf die Dividende schielen. Die gehen nämlich im Zweifelsfall, sobald es ein anderes, erfolgreicheres Geschäftsmodell gibt, zum nächsten Renditeobjekt, ohne sich mit der Sache zu verbinden. Selbst die Millionen Euro, die jedes Jahr in politische Lobbyarbeit der rückwärtsgewandten Energiewirtschaft gesteckt werden, sind dann nur noch ein schwaches Mittel gegen die geballte Überzeugungskraft von so vielen Bürger:innen.

Wirtschaft plus Gemeinwohl ist meine Gleichung für die Energiewende. naturstrom hat ja selbst eine Stiftung gegründet, um deutlich zu machen, dass ein erfolgreiches Geschäftsmodell für eine Erneuerbare Energieversorgung nicht alles ist. Es braucht auch noch den ideellen Teil, die ganz klare Botschaft: Wir stehen als Unternehmen auch für gesellschaftliche, gemeinnützige Ziele! Die Naturstrom Stiftung ist übrigens mit 4,6 % Stimmenanteil die drittgrößte Einzelaktionärin der naturstrom AG und sowohl Ankerinvestor als auch Korrektiv, um das Unternehmen langfristig auf Kurs zu halten.

Welche Projekte der Naturstrom Stiftung sind Ihnen besonders wichtig?

Hermann Falk:
In Deutschland fördert die Naturstrom Stiftung gern Vordenker und kluge Leute, wie die Stiftung Umweltenergierecht in Würzburg, die Konzepte entwickeln, um die richtigen Rahmenbedingungen für Klimaschutz und Energiewende zu erzielen. Es gibt zudem immer wieder Bedarf aus dem globalen Süden, z.B. in Form von Deutschlandstipendien an ausländische Studierende oder Förderung von E-Lastenbikes für Kooperativen in Uganda. Derzeit wird geprüft, ob die Stiftung die Ausbildung von Geflüchteten stärker fördern kann. Der Engpass im Bereich der handwerklichen Berufe, um Solaranlagen zu installieren, um Wärmepumpen zu warten, usw. ist ja enorm. Das ist genau einer der Hemmschuhe, der eine schnellere Energiewende verhindert, egal ob z.B. in den Mittelmeeranrainerstaaten, wo viele Geflüchtete „stranden“ oder in Deutschland.

Herr Falk, ich danke Ihnen für das Gespräch.