naturstrom-Pfennige geben den Ausschlag
Thema: Erste Neuanlagenförderung
Illustrationen: Sarah Matuszewski
Die fünf Männer, die im Dezember 1998 in Weil am Rhein aufs Rathausdach steigen, sind keine Dachdecker. Der Kies des Flachdachs knirscht unter Lederschuhen. Hemd und Krawatte sind Standard. Das Jackett bleibt offen. Gut, dass es heute nicht schneit.
Der Fototermin mit der Lokalpresse, für den die fünf auf dem Dach posieren, wäre heute undenkbar. Geradezu lächerlich. 1998 aber, da war es die Revolution. Bürgermeister Klaus Eberhardt, ein Abgesandter des Stromnetzbetreibers und der damalige naturstrom-Vorstand Ralf Bischof posieren vor einer kleinen Photovoltaikanlage. Die Leistung von 3 Kilowatt ist heute selbst fürs Einfamilienhaus ein Witz, der Stromertrag von jährlich 2.700 Kilowallstunden nicht der Rede wert.
Doch 1998 ticken die Uhren anders: Cent heißen noch Pfennige, Schröder löst Kohl ab und wer mobil telefonieren möchte, sucht die nächste Telefonzelle. Aber nicht nur das Smart-phone ist noch unbekannt, auch die Energiewende.
Zuschuss für mehr Ökostrom
In dieser Zeit wird naturstrom gegründet, als kleines Startup unter Energiekonzernen und behördlich organisierten Stadtwerken. Und mit einem bis dato völlig unbekannten Konzept: Der unabhängige Ökostromanbieter unterstützt durch Zuschüsse den Bau von Ökokraftwerken – Grundstein für die Energiewende. Ein wichtiger kleiner Meilenstein markiert den Weg des Unternehmens gleich im Gründungsjahr: „In Weil am Rhein haben wir Ende 1998 zum allerersten Mal ein Ökokraftwerk gefördert “, erklärt naturstrom-Vorstandsvorsitzender Oliver Hummel. „Seitdem haben sich die Dimensionen drastisch geändert – zum Glück. Damals ginge es darum, die echten Pioniere zu unterstützen.“
Die kleine Photovoltaikanlage markiert den Beginn der naturstrom-Neuanlagenförderung: Für jede Kilowattstunde Ökostrom, die naturstrom-Kund:innen beziehen, fließt Geld in neue Ökostromanlagen. Auf diese Weise hat der Ökostrompionier seit den bescheidenen Anfängen in Weil mehr als 350 Solar-, Windenergie-, Biomasse- und Wasserkraftanlagen selbst errichtet oder durch Zuschüsse, Darlehen oder Beteiligungen ermöglicht.
Die kleine Photovoltaikanlage markiert den Beginn der naturstrom-Neuanlagen-förderung: Für jede Kilowatt-stunde Ökostrom, die naturstrom- Kund:innen beziehen, fließt Geld in neue Ökostromanlagen.
Pläne scheitern fast
Dass naturstrom mit der Solaranlage in Weil erst einmal klein angefangen hat, lag nicht nur am Startup-Status des Unternehmens, sondern auch am damaligen Entwicklungsstand der Erneuerbaren und den energiepolitischen Erfordernissen. Denn das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das sich in den kommenden Jahren zum Erfolgsmodell entwickeln wird, gibt es 1998 noch nicht. Stattdessen ist ein ineffizientes Vorgängergesetz in Kraft. Einzelne kämpfen jedoch bereits für Veränderungen, so auch naturstrom und das Trinationale Umweltzentrum (Truz) in Weil am Rhein. Bürgermeister Klaus Eberhardt, der damals auch Truz-Vorsitzender ist, möchte eine Solaranlage auf dem Rathaus installieren lassen. Gemeinsam mit Kollegen gelingt es ihm, die Finanzierung der Installation des Solarkraftwerks zu sichern. Dennoch gerät das Projekt ins Wanken, denn die damals sehr niedrige gesetzliche Einspeisevergütung reicht nicht, um die hohen Investitionskosten einzuspielen. Zum Vergleich: 1998 betrug der durchschnittliche Preis für eine „Sonnenenergieanlage“, wie sie damals noch oft genannt wurden, etwa 7.500 Euro pro Kilowatt Peak. Heutzutage sind grob 1.500 Euro fällig.
Naturstrom als Geburtshelfer
An diesem Punkt kommt naturstrom ins Spiel und wird zum Geburtshelfer der Weiler Solaranlage: Mit einem Zuschuss von anfangs rund 90 Pfennigen je eingespeiste Kilowattstunde vergütet der Ökostrompionier ab dem 1. Januar 1999 den grünen Strom aus dem südbadischen Städtchen. So wird die Anlage rentabel.
Schon 1990 erste Pläne
Erste Pläne für eine Photovoltaik-Anlage auf dem Rathausdach reichen zurück in das Jahr 1990. Zuerst gab es Bedenken in Bezug auf die technische Machbarkeit, dann fehlte das Geld, weil die staatliche Förderung für Solarstrom unzureichend war. Mit dem Zuschuss von naturstrom klappt es dann, so dass Bürgermeister Eberhardt, naturstrom-Vorstand Bischof und die anderen stolz für die Badische Zeitung vor den blau glitzernden Modulen posieren. „Erster Erzeuger von naturstrom.“ steht auf ihrem Schild. Zufrieden schauen sie in die Kamera, wie Männer, die wissen, dass sie Pioniere sind.