Meilensteine der Klimaschutz- und
Energiewende-Debatte

Bild: Mika Baumeister für unsplash

Kampf um Kohle
und Klimaschutz

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Der 25. April 2015 ist ein milder Frühlingstag, in Berlin scheint die Sonne. Kanzlerin Merkel regiert das Land, ihr Vize ist SPD-Chef Sigmar Gabriel, im Kabinett zuständig für Wirtschaft und Energie. Eigentlich läuft es ziemlich gut. Die Wirtschaft erlebt einen Aufschwung, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Beim Klimaschutz sieht es dagegen schlecht aus. Die Emissionen sind seit Jahren kaum gesunken. Wird nichts unternommen, das zeigen Berechnungen, wird der CO2-Ausstoß im Jahr 2020 um sage und schreibe 160 Millionen Tonnen über dem Soll liegen. Ein alarmierender Befund, nur wenige Monate vor der Klimakonferenz in Paris. Die Klimabewegung protestiert, Medien setzen das Wort Klimakanzlerin in Anführungszeichen. Gabriel schnürt mit Merkels Rückendeckung ein Maßnahmepaket, das die Lücke zwar verringert, aber nicht ganz schließt. Forderungen nach mehr Ambition verhallen, stattdessen passiert an diesem Samstag Ende April etwas völlig anderes.

Kumpel machen Druck

„Stoppt den Wahnsinn“

Unter dem Motto „Es reicht! Wir wehren uns!“ macht die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie – kurz IGBCE – gegen Gabriels Pläne mobil. Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis lässt 15.000 Kohlekumpel und deren Angehörige mit 300 Bussen nach Berlin karren und vom Wirtschaftsministerium zum Kanzleramt ziehen. In Sprechchören skandieren sie: „Unsere Kohle, unser Leben, wollt ihr uns die Arbeit nehmen?!“ Auf Plakaten und Transparenten wird Gabriel persönlich hart angegriffen. „Regierungs-Idiot bringt Familien in Not“, heißt es dort. Und: „Stoppt den Wahnsinn“. Gemeint ist die Kohleabgabe, die Gabriel einführen will, um die schmutzigsten Meiler schrittweise aus dem Markt zu drängen.

Zeitgleich organisiert die Klimabewegung im rheinischen Braunkohlerevier Garzweiler eine Menschenkette, gegen Kohle und für den Erhalt des Hambacher Forstes. 6.000 Menschen beteiligen sich, nicht einmal halb so viel wie bei der Pro-Kohle-Demo. Vassiliadis zeigt sich siegessicher. Auch das Wetter sei auf der Seite der Gewerkschaften: „In Garzweiler regnet es, hier scheint die Sonne.“

Der Kohleprotest ist das Topthema in den Nachrichten, der Klimaprotest nur Randnotiz. Wenig später knicken Merkel und Gabriel ein. Die Kohleabgabe ist Geschichte. Statt zahlen zu müssen, erhalten die Konzerne Zahlungen, wenn ihre alten Blöcke in „Sicherheitsbereitschaft“ gehen. Klimaschutz? Wieder vertagt.

Meilensteine in Paris

„Das ist ein großer Sprung nach vorn für die Menschheit.“
FranÇoise Hollande

Im Dezember gelingt in Paris der Durchbruch. Die Weltgemeinschaft verpflichtet sich auf ein Klimaziel von „deutlich unter“ zwei Grad, möglichst sogar nur 1,5 Grad. „Das ist ein großer Sprung nach vorn für die Menschheit“, sagt Frankreichs Präsident François Hollande. Die Euphorie ist groß, schon im Folgejahr kommt bei der Ratifizierung das nötige Quorum zusammen, das neue Abkommen tritt in Kraft. Doch dann wird es erstmal still darum. Aufmerksamkeit erregt nur die Ausstiegsankündigung von US-Präsident Trump im Sommer 2017. Auch andere Länder wie Brasilien denken laut über einen Rückzug nach. Das Abkommen droht zu scheitern, noch bevor eine einzige Tonne CO2 eingespart ist.

Deutschland steckt derweil im Wahlkampf, auf den lange und erfolglose Jamaika-Sondierungen folgen. Die neue GroKo unter Kanzlerin Merkel delegiert das Thema Kohleausstieg an eine Kommission, die im Juni 2018 zusammentritt. Mit dabei ist auch IGBCE-Chef Vassiliadis, der einen Ausstieg vor dem Jahr 2040 ablehnt.

Skolstrejk för klimatet

„Wir haben die normen verschoben.“
Luisa Neubauer

Im August beginnt die schwedische Schülerin Greta Thunberg ihren „Schulstreik für das Klima“. Schon nach wenigen Tagen ist sie nicht mehr allein, die globale Protestbewegung „Fridays for Future“ entsteht. Die Forderung: Einhaltung des Pariser Klima-Abkommens.

Zum ersten Mal sind es Kinder und Jugendliche, die für mehr Klimaschutz kämpfen. Das verleiht der Bewegung große Glaubwürdigkeit und ermöglicht etwas, das etablierten Gruppen zuvor nicht gelungen war – den Klimawandel als ein aktuelles und drängendes Problem zu vermitteln, das das eigene Leben und die eigene Zukunft betrifft. „Die Fridays-Streiks haben die Debatte verändert, das muss man neidlos anerkennen“, sagt BUND-Chef Hubert Weiger. „Wir haben die Normen verschoben“, wird Luisa Neubauer später sagen. Auch die anfangs heftige Kritik am „Schulschwänzen“ trägt zur Mobilisierung bei. „Sonst hätte das Ganze auch in Konsens-Watte enden können“, sagt der Protestforscher Sebastian Haunss.

Europa ächzt in diesem Sommer 2018 unter einer beispiellosen Hitze- und Dürrewelle. Die Klimakrise ist plötzlich nah und greifbar. Was es bedeutet, wenn die Temperaturen extrem werden, zeigt auch der 1,5-Grad-Bericht, den der Weltklimarat IPCC im Oktober veröffentlicht. Die Hauptaussage: Eine um zwei Grad wärmere Welt ist nicht zu verantworten, bis 2030 müssen die globalen Emissionen um die Hälfte sinken.

Ernüchternde Ausstiegspläne

„Ein Dokument der Mutlosigkeit“
Umweltökonom Ottmar Edenhofer

Auch der 20. September 2019 ist ein milder Tag. Kanzlerin Merkel berät gerade mit ihrem neuen Klimakabinett über ein Klimapaket, Finanzminister Olaf Scholz hat einen „großen Wurf“ angekündigt. Seit Januar liegen die Empfehlungen der Kohlekommission vor. Zwar ist auch der Erhalt des Hambacher Forstes als wichtigem Klimaschutzsymbol vorgesehen. Doch das späte Kohleausstiegsdatum – 2035 bis 2038 – ist für die Fridays ein „Schlag ins Gesicht“. An diesem Freitag beteiligen sich 1,4 Millionen Menschen in Deutschland am 3. Globalen Klimastreik. Weltweit sind es sechs Millionen.

 

Als bekannt wird, dass die Bundesregierung einen CO2-Preis von zunächst nur zehn Euro und weitere Vergünstigungen für Pendler:innen plant, herrschen Wut und Empörung auf der Demo. Ein „Dokument der politischen Mutlosigkeit“ nennt der Umweltökonom Ottmar Edenhofer das Paket. Umweltverbände sprechen von „verweigertem Klimaschutz“.

Klima-Klage hat Erfolg

Ein historisches Urteil

Vier Klagebündnisse legen Verfassungsbeschwerde ein. Im April 2021 gibt Karlsruhe den Kläger:innen teilweise recht und stärkt die Rechte junger Menschen auf mehr Klimaschutz. Kurz darauf verschärft die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz. Schon 2045 soll Deutschland nun klimaneutral werden. Ein großer Erfolg – aber doch nur ein Etappensieg.

Zwar will die neue Ampelregierung den Kohleausstieg „möglichst“ auf 2030 vorziehen und die Erneuerbaren dreimal so schnell ausbauen wie bislang. Doch von dem 1,5-Grad-Ziel ist Deutschland immer noch meilenweit entfernt. Die Emissionen sind nach wie vor zu hoch, neue fossile Infrastruktur wird aufgebaut, und RWE darf für ein vorgezogenes Kohle-Aus Lützerath abbaggern.

„Aus klimapolitischer Sicht können wir uns nicht mehr leisten
halbherzig Kompromisse zu machen.“
Klimaforscher Niklas Höhne

naturstrom engagiert im Kampf gegen Kohle und für das Klima.